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Sina Berger ist unser Lunchgast im Oktober 2024. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Projektleiterin an der ZHAW im Fachgebiet «Management im Gesundheitswesen». Sie kombiniert Forschung und Beratung, mit dem Ziel Innovationen voranzutreiben und das Gesundheitswesen effektiver sowie effizienter zu gestalten. Ihre Expertise liegt in den Bereichen Prozessoptimierungen, Digital Health und Innovationen.

Starten wir mit einer Selbsteinschätzung zu deinem eigenen digitalen Verhalten. Wo bist du im Alltag digitaler unterwegs als die meisten?

Ich versuche, so viel wie möglich digital zu erledigen und zu speichern. Tatsächlich besitze ich nur noch einen einzigen Ordner für wichtige Papierunterlagen – alles andere findet seinen Platz in der Cloud. Im Alltag läuft bei mir viel über das Smartphone: To-do-Listen, Online-Banking, Hotels buchen, Zugtickets kaufen oder die Musik in der Wohnung steuern – selbst das Bezahlen funktioniert inzwischen grösstenteils digital. Auch mein Staubsauger ist mittlerweile ein kleiner Roboter, der eigenständig durch die Wohnung fährt und den ich von überall aus steuern kann. Wenn ich einmal krank bin, ist die Telemedizin für mich meist der erste Weg, bevor ich überhaupt das Haus verlasse. Ich finde das eine echte Erleichterung. Auch Rezepte bestelle ich online und erhalte sie digital per E-Mail. Auch wenn ich sie manchmal doch noch ausdrucken muss am Ende, ist das für mich schon ein Schritt in die richtige Richtung.Im Beruf gehören Videocalls, Homeoffice und digitale Tools selbstverständlich zum Alltag.

Ob ich digitaler unterwegs bin als die meisten? Das weiss ich nicht, aber ich würde schon behaupten, dass ich ganz gut dabei bin. Natürlich gibt’s immer noch mehr Möglichkeiten und sicherlich auch Menschen, die noch digitaler leben als ich. Für mich ist eine gute Mischung ideal: Digitale Tools sind praktisch und erleichtern mir den Alltag, aber ich geniesse es auch, mal ein echtes Buch in der Hand zu haben, eine Postkarte zu schreiben und ganz bewusst offline zu sein.

Für welche Angebote wünschst du dir (dringend) eine digitale Lösung?

Ein Bereich, in dem ich mir mehr digitale Lösungen wünsche, ist das Gesundheitswesen. Digitale Innovationen könnten hier wirklich einen grossen Unterschied machen – sowohl für die Mitarbeitenden als auch für die Patientinnen und Patienten. Im Arbeitsalltag von Pflege- und Gesundheitspersonal sehe ich viel Potenzial. Mit digital unterstützten Prozessen, wie etwa sprachgesteuerter Dokumentation oder einer effizienteren Dienstplanung durch softwarebasierte Kapazitätsplanung, liessen sich die oft zeitintensiven administrativen Aufgaben reduzieren. Das würde nicht nur die Arbeit vereinfachen, sondern auch dafür sorgen, dass das Pflegepersonal wieder mehr Zeit für die direkte Betreuung hat, was letztlich die Qualität der Versorgung verbessert. Auch die Patientenseite kann durch digitale Angebote profitieren.

Ich würde mir besonders die Einführung des Konzepts der «DiGAs» (Digitale Gesundheitsanwendungen) in der Schweiz wünschen, also Apps auf Rezept. Diese könnten dazu beitragen, den Gesundheitszustand der Patientinnen und Patienten beispielsweise zwischen den Arztbesuchen zu unterstützen und in Kombination mit anderen Therapien die Behandlungsergebnisse verbessern. Zusätzlich bieten Konzepte wie «Hospital@Home» sowie die Förderung von Telemedizin, E-Medikation und das EPD ganz neue Zugänge zu Gesundheitsdiensten. Das bedeutet weniger Stress durch Anfahrtswege und Wartezeiten und mehr Möglichkeiten, die eigene Gesundheit einfach und sicher von zuhause aus zu managen. Digitale Lösungen wie diese könnten einen echten Mehrwert für alle Beteiligten schaffen.

In einigen unserer Studien an der ZHAW konnten wir den Nutzen solcher digitalen Angebote bereits herausstellen. Die Ergebnisse sind vielversprechend: In Vorher- Nachher-Analysen zeigt sich immer wieder, dass sich die Gesundheitsversorgung durch diese Technologien optimieren lässt.

Wo sind die grössten Chancen der Digitalisierung (im Gesundheitswesen)?

Eine der grössten Chancen liegt in der Effizienzsteigerung: Digitale Technologien können Prozesse automatisieren und beschleunigen, wodurch Ressourcen gezielter eingesetzt werden. Dies schafft Freiraum für die direkte Betreuung von Patientinnen und Patienten, was gerade angesichts des Fachkräftemangels unverzichtbar ist. Eine weitere grosse Chance eröffnet sich durch den Zugang zu datengetriebener, personalisierter Medizin. Die Analyse grosser Datenmengen mit KI ermöglicht es, Therapien auf den individuellen Krankheitsverlauf abzustimmen und damit präzisere und wirksamere Behandlungen zu entwickeln. Die Patientinnen und Patienten profitieren so von gezielteren Therapieansätze. Auch im Bereich Prävention und Früherkennung bietet die Digitalisierung Potenzial. Mithilfe von Gesundheits-Apps und tragbaren Geräten könnten Risikofaktoren frühzeitig erkannt werden, was spätere, aufwendige Behandlungen verhindern kann und die Gesundheitserhaltung fördert. Für die medizinische Versorgung in ländlichen Regionen oder bei eingeschränktem Zugang ermöglicht, die Telemedizin unabhängig vom Standort in Anspruch zu nehmen, was die Gesundheitsversorgung in abgelegenen Gegenden deutlich verbessert.

Schliesslich schafft die Digitalisierung wertvolle Grundlagen für eine engere Zusammenarbeit und Vernetzung im Gesundheitssystem. Ein flächendeckend eingeführtes EPD könnte den Informationsaustausch zwischen Fachkräften erheblich verbessern und so die Qualität der Behandlungen sowie die Patientensicherheit steigern.

Was sind digitale Vorstösse oder digitale Trends, die du als über- beziehungsweise unterbewertet empfindest?

Überbewertet: Ein häufig überbewerteter Aspekt ist die Vorstellung, dass die Digitalisierung im Gesundheitswesen nur zu einem System aus Maschinen und Algorithmen führen wird. Es ist wichtig, dass wir den Menschen die Vorteile und Möglichkeiten der digitalen Lösungen aufzeigen. Die Digitalisierung kann Herausforderungen entgegenwirken und die Effizienz steigern, doch gerade im Gesundheitswesen bleibt der menschliche Kontakt unverzichtbar. Wir müssen der Bevölkerung klar machen, dass digitale Tools dazu da sind, die persönliche Betreuung zu unterstützen und zu verbessern, nicht zu ersetzen. Das Bewusstsein, um diese Balance zu schaffen, ist eine Herausforderung, die wir aktiv angehen sollten.

Unterbewertet: Oft unterschätzt wird meiner Meinung nach das Potenzial der Prävention durch digitale Technologien. Digitale Tools könnten uns helfen, präventive Massnahmen mehr in den Alltag zu integrieren – sei es durch personalisierte Gesundheitsinformationen oder Erinnerungen zur Gesundheitsförderung im Alltag. Wenn wir etwa durch Alltags- Apps oder Plattformen das Bewusstsein für Ernährung, Bewegung und mentale Gesundheit stärken, können einige Gesundheitsprobleme verhindert oder abgeschwächt werden, bevor sie überhaupt entstehen.

Wie können wir deiner Meinung nach die Digitalisierung (im Gesundheitswesen) gemeinsam anpacken?

Um die digitale Transformation im Gesundheitswesen voranzubringen, braucht es aus meiner Sicht einen klaren Fahrplan, der alle relevanten Akteure – Bürger:innen, Gesundheitsfachleute und die Politik – einbindet. Dabei dürfen wir nicht nur ans Technische denken. Es geht nicht nur um digitale Fähigkeiten (Können), sondern auch um Akzeptanz (Wollen) und die Schaffung geeigneter Rahmenbedingungen (Dürfen). Wichtig ist, die digitale Transformation als langfristiges Projekt zu sehen, das Schritt für Schritt umgesetzt wird.

Bürger:innen sollten ihre digitale Gesundheitskompetenz weiter stärken. Wenn die breite Bevölkerung versteht, wie sie digitale Gesundheitslösungen nutzen kann, verhindern wir eine digitale Kluft, bei der einige besser versorgt werden als andere. Gleichzeitig müssen wir aber auch Vertrauen gegenüber Digital Health schaffen und Lust wecken, indem wir bspw. den Nutzen der Digitalisierung näherbringen. Und zuletzt sollte zudem eine breite gesellschaftliche Diskussion über die Ziele und Visionen der digitalen Transformation angestossen werden, bspw. über einen Hub.

Für die Fachpersonen im Gesundheitswesen heisst das, ebenfalls digitale Kompetenzen mitzubringen und auszuweiten sowie langfristig ein patientenzentriertes, digitales Mindset zu entwickeln. Ein tieferes Verständnis für den Nutzen der Digitalisierung kann die Motivation zur persönlichen Weiterentwicklung fördern. Da der digitale Wandel auch neue Berufsrollen schaffen wird, ist es wichtig, dass Fachkräfte in diesem Prozess gezielt unterstützt und weitergebildet werden.

Auch die Politik muss mit einer klaren Strategie vorangehen und ihre digitalen Kompetenzen ausbauen. Sie ist dafür verantwortlich, entsprechende finanzielle, datenschutzrechtliche und interoperable Regelungen zu schaffen, um den digitalen Wandel reibungslos zu ermöglichen.