Alain Gut, Director Public Affairs sowie Government and Regulatory Affairs bei IBM, ist unser Lunchgast im September 2024. Mit seiner umfassenden Expertise in der Schnittstelle zwischen Technologie, Politik und Regulierung spielt Alain eine zentrale Rolle dabei, die digitale Transformation in verschiedenen Branchen zu gestalten. Er setzt sich dafür ein, innovative Lösungen und Technologien in Einklang mit politischen und regulatorischen Anforderungen zu bringen. Wir haben ihm fünf Fragen zu seiner Arbeit, den Herausforderungen der Digitalisierung und den aktuellen Entwicklungen im Bereich Public Affairs gestellt.
Starten wir mit einer Selbsteinschätzung zu deinem eigenen digitalen Verhalten. Wo bist du im Alltag digitaler unterwegs als die meisten?
Ich bin wahrscheinlich nicht digitaler unterwegs als andere, benutze aber, wenn immer möglich, den digitalen und nicht den analogen Weg. Was mich vielleicht unterscheidet ist, dass ich nie ohne meinen Laptop unterwegs bin, auch nicht in den Ferien und so viel wie möglich mit meinem Smartphone mache.
Für welche Angebote wünschst du dir (dringend) eine digitale Lösung?
Die Schweizer Bevölkerung ist in Bezug auf ihre digitale Skills im Vergleich zu anderen europäischen Ländern nur Mittelmass und zwar unabhängig vom Alter, Geschlecht oder Bildungshintergrund. Für economiesuisse untersuchte ich, was dagegen getan werden kann. Die Erkenntnisse waren für mich eindeutig. Weder neue Lehrpläne in den Schulen noch irgendwelche Kampagnen bringen die notwendigen Resultate. Eine Steigerung der digitalen Kompetenzen der Schweizer Bevölkerung ist nur durch Einführung von digitalen Angeboten von Bund und Kantonen möglich (z.B. eGovernment, eHealth, eVoting, eSteuern, eID). Die die nordeuropäischen Länder machen es perfekt vor.
Welche Digitalisierungsprojekte setzt du in deinem Bereich bei der IBM zurzeit um? Was sind die Herausforderungen dabei?
In meiner Funktion als Verantwortlicher Public Affairs/Government and Regulatory Affairs bei IBM Schweiz bin ich nicht direkt in Digitalisierungsprojekte involviert. Ich engagiere mich in zahlreichen Verbänden und Gremien, vor allem für eine liberale Technologie-Regulierung, gegen den Fachkräftemangel in der IT-Branche und für den Innovationsstandort Schweiz (insbesondere Zürich). Mir liegen vor allem die Themen Bildung, Cybersicherheit, Datenpolitik, Mobilität und Nachhaltigkeit am Herzen.
Wo sind die grössten Chancen der Digitalisierung?
Die Digitalisierung wird immer stärker zur treibenden Kraft für Innovationen in Wirtschaft und Gesellschaft. Um die Schweiz auch zukünftig als innovativen und wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstandort zu positionieren, müssen die Chancen dieser Transformation proaktiv ergriffen werden. Es ist es deshalb wichtig, dass Unternehmen ihren Mitarbeitenden neue Perspektiven geben und sie für die neuen Jobs und Skills entsprechend befähigen. Wichtig ist, zu akzeptieren, dass Computer bei gewissen Fähigkeiten Vorteile gegenüber uns Menschen haben: Maschinelles Lernen, Wissen lokalisieren, komplexe Berechnungen, Fakten prüfen, Voreingenommenheit eliminieren, unendliche Kapazität und totales Gedächtnis.
Wir Menschen haben jedoch Fähigkeiten, die Computersysteme nie haben werden, wie beispielsweise Moral, Kreativität, Dilemma, Intuition, Träume, Empathie, gesunder Menschenverstand und kritisches Denken. Diese Fähigkeiten müssen wir unbedingt stärken. Hier ist nicht nur unser Bildungssystem gefordert, sondern wir alle. Es gilt Strategien zu entwickeln, um relevant zu bleiben. Wir müssen uns auf ein lebenslanges Lernen einstellen und uns immer wieder hinterfragen, welche Fähigkeiten und Kompetenzen erforderlich sein werden, da sich Aufgaben, Jobs und Profile laufend ändern.
Welche Risiken der Digitalisierung bereiten dir Sorgen?
Ich mache mir weniger Sorgen um neue Technologien. Leider werden bei jeder neuen Technologie (im Moment KI), zuerst die Risiken gesehen und die Gefahr für die Arbeitsplätze. Bisher ist aber das Gegenteil der Fall: Es entstehen neue Berufe. Darum sehe ich das grösste Risiko in unserem unflexiblen und föderalistischen Bildungssystem. Hier müssen wir besser werden und dürfen uns nicht auf den Lorbeeren unseres «besten» dualen Bildungssystems ausruhen.
Ein weiteres Risiko stellt das aktuelle Arbeitsgesetz dar. Dieses stammt aus den 60er Jahren und reflektiert die heutigen New Work-Modelle überhaupt nicht mehr. Der Handlungsbedarf ist enorm und es ist sehr schade, dass für viele Branchen noch keine Lösungen gefunden wurden. Dies gilt vor allem für die steigende Anzahl Mitarbeitenden, die von den New Work-Modellen direkt profitieren könnten. Statt einer Jahresarbeitszeit-Regelung gelten vielerorts immer noch die acht Stunden pro Tag von Montag bis Freitag. Ein modernes Arbeitsgesetz ist ein Muss!
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