Stephan Kunz, CTIO der Spital Thurgau AG, war unser Lunchgast im Mai 2024. Wir haben ihm fünf Fragen zu seinem digitalen Verhalten und den Digitalisierungsprojekten des Spital Thurgau gestellt.
Starten wir mit einer Selbsteinschätzung zu deinem eigenen digitalen Verhalten. Wo bist du im Alltag digitaler unterwegs als die meisten?
Obwohl es nicht zu meinem Alter beziehungsweise meiner Generation passt, betrachte ich mich als Digital Native der ersten Stunde. Ich gehörte 1987 zum ersten Jahrgang an der Hotelfachschule Lausanne, in dem mit Laptops gearbeitet wurde. Das war die grosse Innovation. 1991 absolvierte ich die Rekrutenschule als “Operator” an einem damals top-modernen Feuerleit-Computersystem. Nach der Hotelfachschule führte ich als Projektleiter in vielen Schweizer Hotels Computersysteme ein.
Kurz: Informatik und Digitalisierung begeistern mich seit der ersten Stunde. Auch privat versuche ich, wo immer möglich, ein Early Mover zu sein. So hatte ich ein Handy, als es noch kaum verbreitet war, lebe seit 2006 praktisch papierlos und war einer der ersten Tesla-Fahrer in der Schweiz.
Für welche Angebote wünschst du dir (dringend) eine digitale Lösung?
Im Gesundheitswesen, in dem ich seit 1995 tätig bin, gibt es noch sehr viel Potenzial für digitale Lösungen. Grundsätzlich freue ich mich überall dort, wo physische durch digitale Lösungen ersetzt werden: Digitale Patientenakten, Keyfob oder Smartphone statt Schlüssel, hoffentlich bald die Schweizer E-ID und der Reisepass auf dem Handy.
Welche Digitalisierungsprojekte setzt das Spital Thurgau zurzeit um? Was sind die Herausforderungen dabei?
Wir betreiben über 400 Applikationen und arbeiten aktuell an rund 70 IT-Projekten. Während es sich bei einigen “nur” um die Erneuerung von Lösungen handelt, beinhalten viele auch Elemente der digitalen Transformation. Wie zum Beispiel die Ablösung der fast 20 Jahre alten WLAN IP-Telefonie durch eine Cisco Jabber-Telefonie auf Mobilfunkbasis. Mit über 2500 Smartphones, die zusätzliche Software und Apps, zum Beispiel für die Alarmierung, benötigen, ist dies eine sehr anspruchsvolle und herausfordernde Umstellung.
Mehrere Millionen Franken investieren wir derzeit in ein modernes Radiologie-Bildsystem (PACS), das die riesigen Datenmengen von Röntgen-, CT- und MR-Daten performant verwaltet und KI-Systeme zur Bildbefundung integriert.
Auch wenn die Spital Thurgau AG im Bereich des elektronischen Patientendossiers EPD und des digitalen B2B-Austausches über eSanita im schweizerischen Vergleich weit fortgeschritten ist, haben wir im Bereich des digitalen Datenaustausches noch viel zu tun. Neben dem EPD, das bekanntlich nur der kleinste gemeinsame Nenner ist, prüfen wir, wie wir als Ökosystempartner von COMPASSANA ein modernes eHealth-Ökosystem nutzen und damit die integrierte Versorgung vorantreiben können.
Die Herausforderungen bei all diesen Projekten liegen in der Interoperabilität, den Kosten, den Anforderungen an die Verfügbarkeit im 24/7-Betrieb und der Datensicherheit. Mit technischen und organisatorischen Massnahmen investieren wir derzeit viel in letztere.
Wo sind die grössten Chancen der Digitalisierung im Gesundheitswesen?
Medizinische Entscheidungen basieren zu einem grossen Teil auf der Interpretation diagnostischer Daten. 36% der weltweit generierten Daten sind Gesundheitsdaten. 80% davon sind (noch) unstrukturiert. 2025 wird ein Spitalpatient 270 GB an Daten “generieren” – Tendenz stark steigend. Das bedeutet, dass das medizinische Wissen rasch zunimmt und sich in steigendem Datenvolumen äussert.
Nur mit einer entschlossenen und massiven Digitalisierung wird man dieses Wissen und diese technologischen Chancen auch effizient nutzen können, um so mit der knappen Anzahl an Fachkräften die steigende Zahl an Patient:innen zu behandeln.
Welche Risiken der Digitalisierung bereiten dir Sorgen?
Im Gesundheitsbereich sind neben Technik und Daten auch Emotionen, Psychologie und Empathie sehr wichtige Faktoren, um gesund zu werden bzw. zu bleiben. Das darf bei der Digitalisierung nicht vergessen werden.
Das Spannungsfeld zwischen dem Nutzen für die Medizin und die Menschen und den wirtschaftlichen Interessen ist gross. Es ist schwierig zu erkennen, welche Innovationen die Gesundheit der Menschen verbessern und welche “nur” wirtschaftliche Vorteile für einzelne Stakeholder bringen.
Die Digitalisierung führt aufgrund von Skaleneffekten zu starkem Druck auf kleinere Gesundheitsbetriebe. Diese sind mit Health-IT oft hinsichtlich Kosten und Know-How überfordert. Aus emotionalen Gründen wünschen sich aber Patient:innen keine Mega-Spitäler und keine standardisierten “Ketten-Praxen”. Dies bleibt gerade in unserer kleinen Schweiz ein kritisches Spannungsfeld.
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